Friesische

Mythen

Das Kind wollte ein Totenhemd

Ein Schiffer fuhr mit seiner Treckschute von Groningen nach Leeuwarden hinüber. Auf einmal hörte er jemanden rufen, und ein Kindlein kletterte aus dem Wasser an Bord. Es war nicht von Fleisch und Blut und wollte, wie es flüsterte, nur eine Bitte tun. Ob der Schiffer die erfüllen würde?
Wenn es mit Gottes Hilfe möglich sei, antwortete der Mann.
Er möge in Leeuwarden am dritten Haus einer bestimmten Straße anklopfen und um ein Leichenhemd bitten. Alle Kinder hätten eins. Mehr sagte das Kleine nicht.

Der Schiffer versprach es; er erfüllte die Bitte auch, erhielt das Totenhemd und fuhr den gleichen Weg heim. Da wartete das Kind schon, zog das Hemd über, war glückselig und verkündete dem Mann noch, während es schon ins Wasser zurückglitt, Gott werde ihn segnen.
Es ging dem Groninger danach auch gut, und er ließ den Vorfall sogar vor seinem Haus in einen steinernen Pfosten einmeißeln.

Die Frau, bei der er das Hemd hatte abholen müssen, kam aber des Abends zu ihm und bat ihn, das Bild fortzunehmen. Sie sagte, das Kind sei in Schuld empfangen, da habe sie es ins Wasser gleiten lassen. Und sıe habe ohnehin keine Ruhe mehr ım Leben. Der Schiffer hatte wieder Mitleid, er ließ den Pfosten entfernen; aber es half nichts, die Tat war schon ruchbar geworden.

Quelle & © [Hans Friedrich Blunck, Nordseesagen, Loewes Verlag, Bayreuth 1982]