Friesische
Mythen
Das Schiff Mannigfual
Vorzeiten war das Schiff Mannigfual, das befuhr alle Meere. Es war ein Riesenschiff, und das Takelwerk war so ausgedehnt und so hoch, daß in ihm hier und da Wirtsstuben eingerichtet: waren, in denen die Schiffsleute sich von dem Weg erholten, den sie machen mußten, um bis nach oben zu klettern. Die jungen Matrosen waren, wenn sie oben ankamen, zu Männern geworden, und wenn. sie wieder unten anlangten, war ihr Haar ergraut.
In den Mastkörben waren Ochsen untergebracht, die wurden dort gefüttert, bis sie geschlachtet wurden. Darum hatte die Mannschaft allzeit frisches Fleisch zu essen. Einst fiel eins von den Tieren herunter und plumpste gerade in den Suppentopf. Der Koch sah es hineinfallen und fuhr mit einem Boot auf der Suppe umher, um es herauszuziehen, aber erst als der Topf leer gegessen war, fand sich der Ochse wieder.
Der Kapitän hielt seine Leute gut in Zucht. Er hatte ein schnelles Pferd, auf dem ritt er über das Deck und gab seine Anordnungen. Auf seinen Schultern hockten zwei Raben, die verrieten ihm alles, was seine Augen nicht sahen.
Das Schiff Mannigfual wollte durch den Ärmelkanal ın die Nordsee fahren, aber es konnte sich nicht hindurchzwängen. Da ließ der Kapitän die Schiffswand mit Seife bestreichen, und nun. glitt es langsam an dem Felsen von Dover vorbei und färbte ihn weiß. Die Farbe ist ihm seit der Zeit geblieben.
Es fuhr an der friesischen Küste vorbei nach Nordosten gen Jütland, aber da geriet es in einen furchtbaren Sturm und hatte Mühe, in tieferes Fahrwasser zu kommen, denn es wühlte den Meeresboden auf. Aber durch die Wucht der Wellen ließ es sich wieder dem Ozean zu tragen.
Quelle & © [Wilhelmine Siefkes, Ostfriesische Sagen, Verlag Schuster Leer]