Friesische

Mythen

Tidde Winninga

Der reichste Bauer an der Emsmündung auf der Groninger Seite hieß Tidde Winninga. Er lachte über den Deichgrafen, der ihm auferlegt hatte, das Sıel auszubessern, und feierte Tag um Tag auf seinem Hof Feste, wie es die Heiligen und die Klöster ihm rieten, bald diesem, bald jenem Gottseligen zu Ehren. Dass auch über seinen Hof ein Unheil einbrechen könnte, hielt er für unmöglich, weil Gott ihm bisher ja nur Glück um Glück geschickt hatte.

Vierunddreißig Dörfer und zwei Klöster lagen hinterm Deich und hießen das Reiderland. Und die Frauen trugen vor ihrer Brust goldene Schildspangen, groß wie ein Groninger Litermaß.

Eines Tages hob früh am Nachmittag ein furchtbares Unwetter an. Der Sturm brüllte von Nordwest, die Wasser konnten nicht abströmen, und der Deichgraf und die Bauernältesten gaben Befehl, zu wachen und mit Pferd und Wagen und Knechten und Schaufeln bereitzustehen. Bei Tidde Winninga aber war Hochzeit, und er ließ sagen, niemand werde ihn oder seine Leute dazu bringen, bei dem Wetter aus der Tür zu gehen.

Da schickte der Deichgraf ihm Befehl, am Siel wache zu halten. Tidde Winninga gab zurück: Solange nicht das Wasser hoch wie ein Speer in seinen Ställen stünde, werde er die Hochzeit nicht unterbrechen. Er trat nicht einmal vor die Tür, seine Gäste sollten feiern.

Die Meermänner hatten die Worte gehört, sie kannten die Stelle, wo sie eindringen konnten.

Der Deichgraf, der auf einem Schimmel über den Kamm ritt, wusste jedoch, dass alles Werk vergeblich war, wenn die Menschen nicht bereitstünden. Und er rief Gott an, sie zu zwingen, und warf, damit der Himmel ihn erhöre, sich selbst in die Flut. Aber der Herr half nicht mehr. Bei Tidde Winningas Siel brach das Meer ins Land.

Tidde Winninga sah noch das Wasser, das hoch wie ein Speer durch seine Ställe strömte. Vierunddreißig Dörfer und zwei Klöster gingen mit ihm unter, dort, wo heute der Dollart liegt.

Quelle & © [Hans Friedrich Blunck, Nordseesagen, Loewes Verlag, Bayreuth 1982]