Friesische

Mythen

Marenholz

In Ostfriesland regierte zu Aurich lange eine Fürstin für ihren noch unmündigen Sohn, dabei stand ihr ein Rat namens Marenholz zur Seite, auf den sie sich ganz und gar verließ. Er war oft bei ihr auf ihrem Landsitz Sandhorst und war ein ansehnlicher Mann, so dass sich das Gerücht bildete, dass die Fürstin und ihr Ratgeber mehr als nur Dinge der Regierung behandelten. So redeten wenigstens alle Freunde des heranwachsenden Fürsten, und auch die Gegner von Marenholz weckten ın ihm die Vorstellung, dass sein Vater noch nach seinem Tode betrogen würde.

Einen grimmigen Hass nährte der Sohn. Als er nun von seinen Reisen zurückkam, volljährig wurde und selbst die Regierung in Aurich übernahm, berief der junge Fürst einen Gerichtshof gegen Marenholz, und weil man lächelte, dem Liebhaber der Fürstin werde man doch nichts antun, verhärtete er seinen Sinn. Das Gericht sprach Marenholz schuldig und des Todes würdig. Aber der Angeklagte gestand nicht. Sogar die Mutter suchte ihren Sohn auf, bat um Gnade und wollte des Rates Unschuld bezeugen.

Ihr Flehen änderte nichts.

Als Marenholz nun auf Sandhorst hingerichtet werden sollte, blickte er sıch noch eınmal an der Stätte seiner einstigen Macht um und sah einen Apfelbaum, der der Fürstin und ihm besonders lieb gewesen war. Und er kündete an: „So wahr dieser Baum fortan blutrote Äpfel tragen wird, so wahr bın ıch unschuldig an den Verbrechen, deren der junge Fürst mich bezichtigt!“ Dann fiel sein Haupt. |

Der Frühling kam, und der Baum blühte; der Herbst kam, und die Äpfel waren blutrot. Die alte Fürstin befahl dem Sohn zu sagen: „Erkennst du jetzt, dass du einen Unschuldigen hast hinrichten lassen? Ich will dır fortan nicht mehr begegnen!“

Der Fürst schlug eines Tages selbst den Stamm um; aber die Äpfel waren inzwischen aus Samen gepflanzt, und aus dem Stumpf des Baumes sprossen Triebe, die von den Menschen bei Nacht geholt wurden. Und alle Äpfel blieben rot, wurden im Land verbreitet und heißen noch heute „Marenholz“,

Quelle & © [Hans Friedrich Blunck, Nordseesagen, Loewes Verlag, Bayreuth 1982]