Friesische

Mythen

Der Abt von Ihlow

In Ihlow in Ostfriesland stand einst am Rand einer tiefen Wehle ein Kloster, reicher als andere. In seinen Mauern lebte der Sohn eines friesischen Fürsten, der in einer Stunde der Zerknirschung über die Gottlosigkeit der Seinen vor der Welt geflüchtet war.

Eine junge Reichsgräfin vom Rhein weilte, als sie ihren Vater auf der Jagd begleitete, eine Zeitlang auf einem nahen Hof; sie begegnete dem jungen Mönch öfter auf seinen einsamen Wegen der Besinnung. Da gewannen sie einander lieb.

Auch der Abt des Klosters sah die Reichsgräfin und fand sie über alle Maßen schön. Aber sie wich ihm aus. Als er erfuhr, dass sie dem Mönch begegnete, wurde er sehr eifersüchtig und schlich den beiden nach. Eines Tages stürzte er sich mit einem furchtbaren Schrei: „Hab’ ich euch endlich!“ auf das Paar und schleuderte den jungen Klosterbruder in seiner blinden Leidenschaft in das Wasser der Wehle.

Er gewann keinen Lohn; die Gräfin folgte dem Mönch ın die Tiefe, bevor der Zornige nach ihr greifen konnte. So kamen die beiden Liebenden um.

Die Wasserfrauen aber suchten den Abt, der die Schuld trug, und das Meer strömte weit über Ostfriesland. Noch heute irrt der Sündige durchs Land und prahlt und schreit; „Hab’ ich euch endlich!“

Quelle & © [Hans Friedrich Blunck, Nordseesagen, Loewes Verlag, Bayreuth 1982]